Vom Golfplatz in die weite Welt
Der gebürtige Ragazer Bruno Widrig ist am Swiss-Seniors-Golf-Open der Caddie des Australiers Peter Fowler – und vor allem eine aussergewöhnliche Persönlichkeit.
von Reto Voneschen (Sarganserländer)
Das Gesicht von Tim Thelen erhellt sich, als er Bruno Widrig auf dem Golfplatz in Bad Ragaz sieht. «Schön, dich wieder zu sehen», sagt Thelen strahlend und schüttelt Widrig die Hand. Thelen ist nicht einfach «nur» ein Golfgast, sondern der Titelverteidiger des Swiss Seniors Open. Auch Widrig lächelt nach der freundlichen Geste. Denn ein «Pro», wie die professionellen Golfspieler genennt werden, ist er nicht. Aber er nimmt als Caddie von Thelens Konkurrent Peter Fowler am Turnier teil. Und dies schon zum neunten Mal. Zur Erklärung: Die Caddies tragen – vereinfacht gesagt – die Golftaschen der Pros. Ebenso sind sie nicht selten Tippgeber, Seelentröster oder «Mädchen für alles» für die Professionals.
Dass Bruno Widrig Fowlers Tasche trägt, dahinter steckt eine ganz spezielle Geschichte. Mittlerweile ist Widrig 69 Jahre alt und wohnt eigentlich in Keerbergen nahe Mechelen im flämischen Teil Belgiens. Doch der Name verrät es – geboren ist der graumelierte Gentleman in Bad Ragaz. Vor 57 (!) Jahren, also 1960, stand er erstmals als Caddie in Bad Ragaz im Einsatz «So wie viele junge Ragazer Burschen damals», erinnert er sich lächelnd. Einmal pro Woche durfte die Jugend auch selber zum Schläger greifen. «1962 gewann ich das Caddieturnier», weiss Widrig noch. Den Siegerpreis, ein Paar hochwertige Kästle--Ski konnte Skifahrer Widrig bestens brauchen.
Die halbe Welt gesehen
Der Duft der grossen, weiten Welt, welche die damaligen golfenden Gäste verstömten, machte grossen Eindruck auf den Sohn einer Ragazer «Büezerfamilie». Denn früh beschliesst er, eine Karriere im diplomatischen Dienst anzustreben. «Golf war sicher nicht der einzige Grund dafür, aber auf dem Golfplatz haben wir Jungen damals gesehen, dass es noch mehr auf der Welt gibt», erinnert sich Widrig.
So verlässt er Bad Ragaz schon mit 16 Jahren, nach der Lehre in Walenstadt und dem ersten Job in Zürich, sowie einem Sprachaufenthalt in Paris kommt er 1971 beim heutigen Eidgenössischen Departement des Äusseren (EDA) unter. New Orleans , Kuba, München, Indonesien, Bangladesh, Antwerpen, Kapstadt, Spanien und Edinburgh hiessen bis 2007 unter anderem die Stationen in Widrigs spannendem Diplomatenleben. Allein mit den Geschichten, die er in den Siebzigerjahren im brisanten politschen Klima auf Kuba erlebte, könnte Widrig Bücher füllen. «Ich kam aus New Orleans und die Schweizer Botschaft vertrat auch die Interessen der USA. So galt ich automatisch als Staatsfeind im sozialistischen Kuba», erzählt Widrig.
Die Bande zu Bad Ragaz hielt trotz den Aufenthalten in der ganzen Welt. Eine Ferienwohnung halten die Widrigs im Kurort bis heute. Auch weil Sohn Oliver zu den Wurzeln des Vaters zurückgekehrt ist und in Bad Ragaz bei Caligari Golfequipment AG arbeitet. Und ebenso weil mit Mario Caligari ein Jugendfreund Widrigs als Head Pro des Golfclubs Bad Ragaz wirkt. Die belgischen Ehefrauen der beiden kamen einst zusammen der Arbeit wegen nach Ragaz – die eine blieb der Liebe wegen gleich dort, die andere zog mit Bruno Widrig durch die Welt. Dafür verlegte die Familie nach Beendigung des Diplomatendienstes den Wohnsitz in die Heimat der Ehefrau.

Foto: Reto Voneschen (Sarganserländer)
Vertrauen muss stimmen
Nach seiner Pensionierung vor zehn Jahren fand Widrig mehr Zeit und Musse für sein Hobby Golf. Während seiner Diplomatenzeit öffnete dies so manche Türe, in Bad Ragaz war er auch mehrmals zum Pro-Am-Turnier eingeladen. Als Pensionär kam der Gedanke, «so ein Turnier kann sicher Helfer gebrauchen» auf. Kumpan Caligari vermittelte den Kontakt zum Australier Fowler. «Seither schreibt er mir jedes Jahr vorgängig, ob ich wieder bei ihm Caddie mache», so Widrig nicht ohne Stolz. Das Vertrauen muss stimmen zwischen Pro und Caddie. Als Ortskundiger ist Widrig erster Ansprechpartner beispielsweise für Terrainbeschaffenheit und möglicher Wetteränderungen. «Eine seiner ersten Fragen damals war, wie hoch Bad Ragaz liege und wie die Luftfeuchtigkeit sei», erzählt Widrig.
2011 gewann Fowler das Turnier. Ein grosser Moment auch für Caddie Widrig. Denn seither weht die Fahne von Loch 18 bei ihm im Garten in Keerbergen. Eine alte Tradition im Golf – der Caddie des Turniersiegers erhält die Fahne des letzten Lochs. «Ich nähme auch gerne eine zweite mit nach Hause», sagt Widrig verschmitzt lächelnd. Ob ihm Tim Thelen dann immer noch die Hand geben würde im nächsten Jahr, ist eine andere Frage.
