«Bossys» Montags-Runde

Wie startet ein Tour Professional in eine Turnierwoche? Und welche Tipps hält der Swiss-Seniors-Open-Botschafter für Clubmitglieder bereit, die sich ausnahmsweise an einem Parcours in Legends-Tour-Konditionen versuchen dürfen?

André Bossert, Turnierbotschafter des Swiss Seniors Open, und die beiden Clubmitglieder und SSO-Volunteers Thomas Kratzla und Joachim Gantner kennen den Championship Course des Golf Club Bad Ragaz nahezu in- und auswendig. Die beiden Amateure noch besser als der Tour Professional, denn im Gegensatz zu «Bossy» haben «Jay» und Thomas die Platzumbauten der letzten drei Jahre bei diversen Friendly Games und Clubturnieren bereits ausgiebig inspiziert. Und trotzdem, in der SSO-Woche spielt sich der Platz ein wenig anders, als während der restlichen Zeit des Jahres… finden zumindest die Clubgolfer.

Der Professional kehrt zurück
André Bossert hat am Montagmittag zu Hause in Zollikerberg sein Auto beladen und ist für sein Heimturnier auf der Legends Tour ins Grand Resort Bad Ragaz «übersiedelt». Sein Plan für die ersten Stunden in Bad Ragaz: Raus auf den Platz, diesen spüren und ein erstes Gefühl für die Fairways und Greens entwickeln. Weil für den späten Nachmittag Gewitter angesagt sind, sitzt Bossert früher als ursprünglich geplant im Auto – die Runde mit den Vertretern des SSO-Media-Teams wird um eineinhalb Stunden vorverschoben.

Kurz nach halb vier steht «Bossy» auf Tee 10 – die Muskeln warm, das Aufwärm-Programm auf der Range vollständig absolviert. Er prüft die Windrichtung: «Bei Rückenwind könnte der Driver zu lang sein. Und was auf dieser Tee-Box täuscht, ist die Tatsache, dass es auf Drivelänge rechts sehr viel Platz hat.» Er schlägt ab. Schnurgerade. Wie er den Driver ins Bag zurücksteckt, kommt Paul Wesselingh des Weges. Er führt den Hund von Freunden spazieren und freut sich, zurück am Ort seines Triumphes zu sein – 2013 hatte er in Bad Ragaz seinen dritten (von insgesamt acht) Sieg(en) auf der Legends Tour gefeiert.

«Bossy» konzentriert sich in den folgenden eineinhalb Stunden darauf, die aktuellen Konditionen zu eruieren. Bei seinem Drive auf der 10 angekommen, weiss der Tour Professional bereits: «Der Boden ist nicht sehr hart, der Ball rollt nur wenig, ich kann problemlos den Driver spielen.» Sein Ball liegt 106 Meter von der Fahne entfernt. Bossert schlägt ihn wie er liegt – und danach mit dem gleichen Wedge nochmals einen Ball, allerdings aus 100 Metern Entfernung: «Ich habe einen Club, mit dem ich den Ball genau 100 Meter spiele – jetzt liegt der Ball einen Meter hinter der Fahne; das Grün ist relativ hart, der Backspin kommt deshalb nicht richtig zum Tragen.» Diese Erkenntnisse notiert «Bossy» in seinem alten Yardage Book, in dem jede Spielbahn des Parcours detailliert aufgezeichnet ist. «Diese papierenen Yardage Books gibt es leider nicht mehr; neu arbeitet die Legends Tour mit dem elektronischen SkyCaddie – ein sehr gutes und genaues Tool, das von jedem Punkt des Platzes die Entfernung zur Fahne, zu Hindernissen oder anderen Platzmerkmalen angibt.» Die handschriftlichen Notizen aus den Vorjahren – und aus jeder neuen Trainingsrunde – bleiben für den Tour Professional dennoch Gold wert.

Bei Trainingsrunden zückt «Bossy» vor jedem Schlag sein Lasergerät und misst die Distanz zur Fahne. Nach dem Schlag wird dann nochmals nachgemessen, wie weit  der Ball effektiv geflogen ist. Auf dem Par 5 Nummer 12 hält Bossert den Ball mit dem zweiten Schlag bewusst auf der linken Seite. «Hier kann einem nichts passieren, man hat freie Sicht aufs Grün.» Dass sein Ball im für Ragazer Verhältnisse dicken Rough landet, ist für «Bossy» kein Problem. «Man muss sich die Lage des Balls genau anschauen, vor allem auch auf die Wuchsrichtung des Grases achten und den Schlag dann allenfalls etwas anpassen», erklärt er. Er spielt den Ball aus dem Rough, einen zweiten aus der gleichen Distanz vom Fairway. Beim Grün angekommen wird klar: Die Distanz stimmt bei beiden Schlägen. Der Unterschied: der Ball aus dem Rough ist fünf Meter vor der Fahne gelandet und mit wenig Spin an die Fahne gerollt. Der Ball vom Fairway pitchte bei der Fahne und bleibt dank Backspin dort liegen.

Beim Weggehen vom Grün kommt Peter Fowler – «der fleissigste Mann auf der Legends Tour» (O-Ton André Bossert) und Bad-Ragaz-Sieger von 2011 auf dem Fairway anmarschiert. «Ich muss meinen Rücken schonen, deshalb laufe ich den Platz ohne zu spielen ab und wecke dabei Erinnerungen an frühere Runden hier in Bad Ragaz», erklärt er. Dann neckt er seinen Schweizer Berufskollegen: «Am Montag mit drei Coaches auf den Platz zu gehen ist nicht fair.»

Wenig später auf der 14 zückt André Bossert sein Eisen 4. «In Bad Ragaz benötige ich mehrmals das Eisen 4 und für den Schlag ins Grün entweder ein Wedge oder das Eisen 9 – diese Clubs schlage ich diese Woche auch auf der Range häufiger.» Auf der 14 passt das Vierereisen. Am Grün dieses Par 3 schaut sich «Bossy» genau an, wo der Ball gepitcht hat und wo er liegen bleibt. Distanzkontrolle lautet das Zauberwort für den Professional.

Wie kurz nach 17 Uhr Regentropfen auf den Platz fallen und das Gewitter bedrohlich nahekommt, steht der Turnierbotschafter auf dem 18. Abschlag und erklärt: «Ein wunderbares Schlussloch, das man strategisch spielen kann.» Will heissen: Entweder volles Risiko und mit dem Driver über den linken Bunker oder mit Holz 3 zwischen die beiden Fairwaybunker. Die dritte Variante ist mit einem Eisen 4 vor Bunker spielen. Eine zu vorsichtige Strategie, die ich nur dann anwenden würde, wenn ich am Sonntagnachmittag mit  zwei Schlägen Vorsprung auf dem letzten Abschlag stehe.»

Das sollten die Amateure beachten
Spannende Einsichten ins Leben eines Tour Professionals, die Bossert den Clubgolfern an diesem Montagnachmittag ermöglicht. Um von den 90 Minuten mit dem Turnierbotschafter möglichst viel zu profitieren, fragen Thomas und Jay aber eifrig nach und holen sich Tipps fürs eigene Spiel.

Chip aus dem Second Cut: Gleich auf der ersten Bahn, die «Bossy» mit den Clubmitgliedern spielt, landet der Ball eines Amateurs links neben dem Grün im Second Cut. Diese zusätzliche Schnittstufe verlangt beim Chip erhöhte Aufmerksamkeit. Bossert zeigt Jay, in welche Richtung das Gras wächst und liegt – und wie er den Ball treffen muss – und stellt für einen Chip-In ein Bier in Aussicht. Pech für den Amateur, dass der Ball drei Zentimeter neben der Fahne liegen bleibt.

Richtiges Bunkerrechen: Auf der 11 lassen sich die Amateure vom Professional einen Bunkerschlag zeigen, den er auf der Tour wohl nie machen muss – der Ball liegt in einer tiefen Fussspur. Für «Bossy» kein Problem – ebenso wenig, wie das richtige Harken des Bunkers: «Die Caddies sagen immer, dass man den Sand mit dem Rechen nicht zu sich heranziehen, sondern von sich wegschieben soll, damit der Sand wirklich eben wird. Am Besten macht man das mit beiden Händen.»

Lange Schläge aus dem Rough: So wie der Professional schlägt auch Thomas auf der 12 seinen Ball links ins Rough. Allerdings vom Tee, nicht erst beim zweiten Schlag. Wie aber spielt man einen langen Ball aus diesem dicken Gras? «Je nachdem, wie der Ball liegt, mit einem Eisen oder einem Hybrid, das aber auch steil – also eher wie ein Eisen – geschwungen werden muss, um gut unter den Ball zu kommen», erklärt Bossert. Er lässt das Clubmitglied zwei unterschiedliche Schläger schwingen, um zu beweisen, dass es manchmal sinnvoller ist, mit einem Eisen sicher aus diesem Rough zu kommen, als vergeblich zu versuchen, mit einem Fairway-Holz Länge zu generieren.

Steile Schläge aus dem Pott-Bunker: An der 14 wartet der Pott-Bunker auf die Amateure. Jay platziert seinen Ball nahe an der «Steilwand» und zeigt dem Professional, wie er diesen Ball spielen würde. «Du musst das Gewicht mehr auf der linken Seite haben, sehr steil schwingen und von oben auf den Ball schlagen, nicht versuchen, den Ball zu ‘lupfen’. Der Loft sorgt dafür, dass der Ball in die Höhe steigt. Du musst dir bewusst sein, dass du im Follow Through in die Bunkerwand schlagen wirst – keine Angst davor.» Beim dritten Anlauf klappt’s.

Merci André für die wertvollen Tipps.

 

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